Jahrestagung

Vergessen und Erinnern – Über Gedächtnis und Gedächtniskulturen von Musik

Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft 2025

Anton Bruckner Privatuniversität Linz, 13.-15.11.2025

Call for Papers: Deadline 30.4.2025

»Glücklich ist, wer vergisst…«[i], singen Rosalinde und Alfred in der Fledermaus, und so wird es wohl im Strauß-Jahr 2025 aus vielerlei Lautsprechern und auf Bühnen Österreichs erschallen – ironischerweise zum Gedenken an den Komponisten. Auch Tilly889 sucht mit »Liedern um die Welt zu vergessen« ihr Glück, und zwar im von ihr eröffneten Thread auf einer gängigen Internet-Plattform[ii]: Das Motiv des Sich-Vergessens oder auch der Weltflucht in und durch Musik könnte angesichts aktueller krisenhafter Situationen erneut an Bedeutung gewinnen. In der musikwissenschaftlichen Reflexion ist das explizite Erinnern in und durch Musik bisher häufiger aufgegriffen worden[iii], ob durch systematische Zugänge, wie in der Analyse kognitiver Prozesse, oder in kulturwissenschaftlichen Ansätzen; auch in der musikalischen Praxis finden sich gelebte Memorialpraktiken, z.B. bei Konzertveranstaltungen oder Gedenkjahr-Events.

Erinnern ist, so Aleida Assmann, »immer unwahrscheinlich [und bedarf] großer Anstrengungen und besonderer Institutionen und Medien«[iv]. Und so bilden auch in der Musik Vergessen und Erinnern ein Bezugspaar, in dessen Spannungsfeld sich Gedächtnis und Gedächtniskulturen formen. Während Vergessen zum cerebralen Alltag gehört und sich durch fehlende Materialisierung, Destruktion materieller Quellen oder einer abbrechenden Zirkulation von Kommunikation einstellen kann, wird Erinnern durch den Abruf aus dem Speichergedächtnis möglich, in dem Materielles wie Immaterielles verwahrt wird (Notendrucke, Aufnahmen, Fanshirts, Briefwechsel, Tagebucheinträge, Kultobjekte, Instrumente, Zeitungsartikel, wissenschaftliche Abhandlungen, aber auch Erzählungen, Redewendungen usw.).

Mit Blick auf Gedächtnis und Gedächtniskulturen eröffnen sich musikbezogene Fragen: Was und wie wird musikalisch erinnert oder vergessen? Was geschieht dabei im Gehirn, und welchen Einfluss nehmen Emotionen darauf? Wie kann Musik als Trägerin von Erinnerung fungieren oder mit ihr (und in ihr) Erinnerungen verwischt werden? Wie und warum enden musikbezogene Erinnerungskommunikationen und wie werden sie wieder aufgegriffen? Nach welchen Kriterien werden Musikstücke mit Erinnerungspotential ausgewählt, verwahrt und aufbereitet, sodass sie selbst nicht dem Vergessen anheimfallen?

Angesichts der ungebrochenen Aktualität dieser Fragestellungen möchten wir uns im Rahmen der Jahrestagung der ÖGMw 2025 mit Institutionen und Medien, den Voraussetzungen und Handlungen musikbezogener Erinnerung auseinandersetzen, aber auch dem musikalischen Vergessen einen Platz in der Reflexion einräumen. Dabei laden wir neben allen musikwissenschaftlichen Teildisziplinen inklusive systematischer Musikwissenschaft, Musikethnologie und Popmusikforschung auch ausdrücklich die Vertreter*innen von Archiven und Bibliotheken als mit Strategien der Wissensspeicherung befassten Institutionen ein, sich am Diskurs zu beteiligen.

Wir freuen uns über Einsendungen u.a. zu folgenden musikbezogenen Themenfeldern, wobei sowohl österreichspezifische als auch weltweite Kontexte berücksichtig werden können:

  • Selektives Erinnern, Weltflucht, Eskapismus: Vergessen mit Musik
  • Übersehen und Vergessen: Verschwundene Vergangenheiten 
  • Musikbezogenes Erinnern/Vergessen und Macht: Marginalisierte Erinnerungen, geschlechts- und klassenspezifisches Vergessen und Erinnern
  • Musik und Kognitive Prozesse: Demenz, Memorieren mit und durch Musik, Üben als (körperliches) Erinnern
  • Affektives Musik-Erinnern: Emotion im musikalischen Erinnerungsprozess; Wahrnehmung, Wertung und Gedächtnis
  • Musikbezogene Praktiken des Erinnerns: Erinnerungen entfachen, Erinnerungen verändern, Erinnerung löschen
  • Musik als therapeutische Intervention in Vergessens- und Erinnerungsprozessen
  • Musikalische Erinnerungspolitiken: Musik in Diskursen um ›kulturelles Erbe‹ und als Faktor erinnerungsbezogener Identitätsbildung
  • Verarbeitung von Erinnerung und Verklärung: Nostalgie, Revival, Reenactment in Musikkulturen
  • Archivierung und Digitalisierung von musikbezogenen Erinnerungsträgern
  • Materialität des Erinnerns: Präsenz, Spuren, Verlust musikbezogener Dinge
  • Musikalische Erinnerungsorte
  • Methodische Herausforderungen im thematischen Zusammenhang von »Musik erinnern und vergessen«

Formate:

  • Vortrag: 20 Minuten + 10 Minuten Diskussion
  • Roundtable, Podiumsdiskussionen, Gesprächsformate oder Kurzworkshop (30 Minuten)

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.

Bitte senden Sie ein Abstract (max. 2.000 Zeichen) unter Angabe des gewünschten Formats (Vortrag, Projektpräsentation) sowie eine Kurzbiografie (ca. 500 Zeichen) bis zum 30.4.2025 an: oegmw25@bruckneruni.at

Die Entscheidung über die Annahme fällt bis 20.5.2025 durch eine Jury, bestehend aus Präsidiumsmitgliedern der ÖGMw (https://oegmw.at) und des Instituts für Theorie und Geschichte der Anton Bruckner Privatuniversität.

Im Rahmen der Jahrestagung findet auch heuer wieder das Symposium der Jungen Musikwissenschaft für Studierende statt. Den Call für dieses Symposium finden Sie hier: https://oegmw.at/junge-musikwissenschaft/nachwuchssymposium

Bitte melden Sie sich gerne unter der oben angegebenen E-Mail-Adresse, sollten Sie Fragen haben.

Konzeption und Organisation: Univ.-Prof.in Dr.in Carolin Stahrenberg, Assoz.Univ.-Prof. Dr. Georg Nicklaus, Roman Duffner, Erin Lupardus, Lukas Mantovan

Anton Bruckner Privatuniversität Linz, Alice-Harnoncourt-Platz 1, 4040 Linz, Austria


[i] Strauss, Johann und Genée, Richard. Die Fledermaus: Operette in drei Acten. Clavierauszug für Gesang und Piano arrang. von Richard Genée. Wien: Friedrich Schreiber, 1874, S. 43.

[ii] Tilly889: »Lieder um die Welt zu vergessen? Am liebsten englisch und traurig kennt jemand was?« (21.2.2023). Philipp Graf Montgelas/Michael Amtmann: gutefrage.net, München 2023, https://www.gutefrage.net/frage/lieder-um-die-welt-zu-vergessen (Abruf 12.1.2025).

[iii] z.B. Unseld, Melanie. »Erinnerung und Gedächtnis. Einige Vorüberlegungen«. In: Biographie und Musikgeschichte, 3, S. 39–68. Köln: Böhlau, 2014; Nieper, Lena und Julian Schmitz (Hg.). Musik als Medium der Erinnerung: Gedächtnis – Geschichte – Gegenwart. Bielefeld: Transcript, 2016; Istvandity, Lauren. »If I Ever Hear It, It Takes Me Straight Back There: Music, Autobiographical Memory, Space and Place«. In: A Cultural History of Sound, Memory and the Senses. Milton Park: Routledge, 2017, S. 231–44; Jost, Christofer und Sebald, Gerd (Hg.). Musik – Kultur – Gedächtnis: Theoretische und analytische Annäherungen an ein Forschungsfeld zwischen den Disziplinen. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2020; Snyder, Bob. Music and Memory: An Introduction. Cambridge, Mass: MIT Press, 2000.

[iv] Assmann, Aleida. Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerung und Geschichtspolitik. München: Beck, 2006, S. 52.


Archiv

Die Jahrestagung 2024 fand zum Thema „Demokratie – Materialisierung in und durch Musik“ vom 17. bis 19. Oktober 2024 an der Universität Mozarteum in Salzburg statt. Informationen und das Programm finden Sie im „Archiv„.

Sämtliche Informationen zu vergangenen Jahrestagungen sind auf der Archivseite zu finden.

Nach oben scrollen